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Rede von Karin André anlässlich ihres 65. Geburtstags am 1.10.2016
Ich möchte versuchen nahezubringen, warum ich die Karin André Stiftung gegründet habe. Dazu greife ich ein wenig in die »Mottenkiste« meines Stammbaums … vielleicht werdet ihr aus diesen Geschichten auch meine heutigen Konturen erkennen …
Ich stamme von Menschen ab, die vor 300 Jahren in St. Gilles de Nimes lebten und wegen ihres Glaubens Frankreich verlassen haben. Ich zitiere und ergänze Teile aus dem Text des Hauses der Stadtgeschichte in Offenbach am Main:
In St. Gilles de Nimes in der Landschaft Languedoc, am westlichen Arm der Rhone gelegen, lebten vor rund 300 Jahren die Vorfahren meiner Hugenottenfamilie André.
In diesen Gegenden, wie auch in anderen Teilen Frankreichs, verbreitete sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Lehre des Reformators Jean Calvin (1509-1564). Er kannte die Ideen Martin Luthers und war Feuer und Flamme : Für das vertrauensvolle Gebet und gegen Geschäfte mit Ablässen und Reliquienkult. Aus Calvins Denken von der Vorherbestimmung des menschlichen Lebens durch den Willen Gottes, konnten seine Anhänger den Schluss ziehen, dass sie, bei aller Vorherbestimmung, auch aus Erfolgen im Leben, Gewissheit für Rettung im Jenseits gewinnen können.
Die Calvinisten betrachteten sich als Exempel von Keuschheit, gütig sein, Geduld und Bescheidenheit.Die Hugenotten galten dem französischen Königtum als Ketzer, die man bekämpfen musste.
Die Hugenotten waren freilich nicht bereit, vor ihren Verfolgern zu kapitulieren. Sie schlossen sich zusammen und leisteten Widerstand. Zunächst kämpften sie um Freiheit für ihren Glauben, später um ihre wirtschaftliche Existenz und um die Macht im Staat.Einzelne schlimme Ereignisse jener Zeit finden sich in der alten französischen Bibel aus dem Jahr 1588, die die Familie André 1687 aus der französischen Heimat mitbrachte.
Der vernichtende Schlag gegen die hugenottische Führungsschicht war die berüchtigte Bartholomäusnacht, die „Pariser Bluthochzeit“. Am 24. August 1572, während des Festgelages anlässlich der Hochzeit des Thronanwärters Heinrich V. Navarra (später Heinrich IV.), der selbst Hugenotte war, mit der katholischen Schwester der französischen Könige, Margarete von Valois, begann ein furchtbares Gemetzel unter den in Paris weilenden Hugenotten. 3000 Menschen verloren ihr Leben. Auch in der Provinz kam es zu weiteren Ausschreitungen, denen ca. 20.000 Menschen zum Opfer fielen und von dem eine Eintragung in der alten Bibel der Familie André Zeugnis gibt.
Vierzig Jahre lang gab es Kriege, die auf beiden Seiten, die unzählige Menschenleben kosteten. Heinrich V. war ein pragmatisch denkender, auf Ausgleich bedachter Regent und bekannte sich schließlich zum katholischen Glauben. 1598 erließ er den „Toleranzedikt von Nantes“. Dieser gewährte Religionsfreiheit und Gleichberechtigung. Die Hugenotten bildeten von da an eine Art Staat im Staate.
Im folgenden Jahrhundert unter Ludwig XIII. und den für ihn regierenden Kardinälen Richelieu und Mazarin und erst recht unter dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. konnten und wollten die Sonderrechte einer konfessionellen Minderheit nicht hingenommen werden. Bei einem Herrscher, der sich mit dem Staat gleichsetzte (L´etat, c´est moi), kam es, dass Ludwig XIV. rücksichtslos gegen die hugenottische Minderheit im eigenen Lande vorging. Protestanten wurde der Zugang zu allen öffentlichen Ämtern und zu freien Berufen wie Ärzten, Rechtsanwälten, Notaren und Druckern verwehrt. 1686 hob Ludwig XIV. die Schutzbestimmungen des Ediktes von Nantes ersatzlos auf. Seinen protestantischen Untertanen befahl er, ihrem hugenottischen Glauben abzuschwören.Man schätzt die Zahl derer, die dann ihres Glaubens wegen aus Frankreich flüchteten, auf etwa eine halbe Million Menschen bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von ca. 19 Millionen.
Für die Hugenotten in Südfrankreich, in der Provence und im Languedoc bot sich als Fluchtweg die Rhone flussaufwärts und Genf als rettendes Tor.Diesen Weg zu nehmen, entschloss sich im Herbst 1687 auch die Familie André aus St. Gilles de Nimes.
Bei aller Hilfsbereitschaft der Schweizer Glaubensbrüder konnte die Schweiz freilich nur eine Zwischenstation sein, denn die Zahl der Flüchtlinge war zu hoch.
Zu den aufnahmebereiten deutschen Landesherren gehörte der im Schloss zu Offenbach residierende Graf von Isenburg, dessen Familie bereits 1597 den reformierten Glauben angenommen hatte.
Von den sechs Mitgliedern der Familie Andé, die im Herbst 1687 aus St. Gilles die Flucht angetreten hatten, konnten nur drei überleben: Karin´s Vorfahr Gilles André, sein Stiefvater und ein Stiefbruder. Im Maingebiet fanden sie eine neue Heimat.
Sie verdienten ihren Lebensunterhalt in den nächsten Jahren als Seidenweber oder auch als Strumpfwirker.
Gilles André, übte seinen Beruf in Offenbach am Main aus. 1699 erschien sein Name im Mitgliederverzeichnis der neugegründeten französisch-reformierten Gemeinde in Offenbach.Im gleichen Jahr heiratete er die ebenfalls aus einer Hugenottenfamilie stammenden Judith Gerain.
Gilles André brachte es durch Fleiß und Geschicklichkeit als selbständiger Seidenweber schon bald zu einem gewissen Wohlstand. Er errichtete nach einiger Zeit ein geräumiges Wohnhaus, das er und seine Nachkommen bis 1784 bewohnten.
Von den acht Kindern Gilles Andrés überlebte nur der 1705 geborene Marc seinen Vater. Als Seidenfabrikant wurde Marc André offenbar zu einem recht wohlhabenden Mann, der seiner französisch-reformierten Gemeinde in Offenbach ein großes Wohn- und Schulgebäude neben der Kirche finanzieren konnte.
Für Offenbach und die Musikwelt erlangte Marc Andrés ältester Sohn Johann André eine besondere Bedeutung. Beim Tod seines Vaters erst 10 Jahre alt, zeigte er schon früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Im Alter von 16 Jahren trat er in das Seidengeschäft seiner Familie ein.
Die musikalische Ausbildung wurde parallel fortgesetzt. Doch schon bald schickte ihn seine Mutter nach Mannheim, damit er dort seine kaufmännische Ausbildung zum Abschluss bringen konnte. Mannheim war zu dieser Zeit die bedeutsamste Musikmetropole der Epoche und Europas!
Mit 20 Jahren kehrte er nach Offenbach zurück. Neben der Tätigkeit in der Seidenfabrik versuchte er sich bald mit eigenen Kompositionen.
Der erste musikalische Erfolg gelang mit seiner komischen Oper „Der Töpfer“, die am 1773 in Hanau erstmals aufgeführt wurde. Sein gesamtes musikalisches Oeuvre umfasste schließlich dreißig Opern und Singspiele, daneben Ouvertüren sowie zahlreiche Arien und Lieder, die damals recht populär waren.
Johann Wolfgang Goethe kam im Jahre 1775 oft nach Offenbach, um der 17jährigen Frankfurter Bankierstochter „Lili“ Schönemann ungezwungener nahe zu sein. Dabei wohnte er im Hause Johann André’s , der am Klavier spielte, während die beiden Liebenden turtelten.
»Von angeboren lebhaftem Talente …« schrieb Goethe als alter Mann über Johann André in »Dichtung und Wahrheit«
Johann André gründete am 17. August 1774 einen Musikalienverlag mit angeschlossener Notendruckerei. Die Seidenfärberei übergab er seinem Onkel und zog dann 1777 nach Berlin, wo er Musikdirektor des Döbbelinschen Theaters wurde. Die „Notenfabrique“ Offenbach leitete er nun von Berlin aus. Familie, Kapellmeister, gleichzeitig Geschäft wurden ihm zu viel, so kehrte er 1784 nach Offenbach zurück. 1797 wies der Verlagskatalog bereits 1052 Nummern auf: Opern, Arien, Lieder, Konzerte und Sinfonien verschiedener Komponisten. Am 18. Juni 1799 ist der Seidenfabrikant, Komponist, Kapellmeister und Musikverleger Johann André im Alter von 58 Jahren in Offenbach gestorben.
Johann Anton André (*1775 +1842)
Sein bemerkenswerter Sohn Anton erblickte am 06. Oktober als 5. Kind der Eheleute André 1775 Licht der Welt. Auch er hatte musikalische Begabung, die durch den Vater nachhaltig gefördert wurde. Sie wurde durch den Vater zeitig und nachhaltig gefördert. In den folgenden Jahren, während der französischen Revolution, pendelte Johann Anton zwischen Mannheim und Offenbach und kümmerte sich intensiv um seine musikalische Ausbildung. Er komponierte über 100 Werke und schrieb ein Lehrbuch der Tonsetzkunst.1798/99 übernahm Anton den väterlichen Betrieb.
Mit gründlicher musikalischer Ausbildung ausgestattet, trat er ganz in die Fußstapfen des Vaters.
1799 kaufte Anton André von der Witwe Mozarts den musikalischen Nachlaß des Komponisten für 3.150 Gulden.Auf seinen Reisen nach Wien kam es auch zur Zusammenarbeit mit dem Erfinder der Lithographie, Alois Senefelder. In der Andre´schen Notendruckerei löste nun der Steindruck den Druck mit Kupfer- und Zinnplatten ab.
1801 gab es Kataloge mit Reihen, speziell für die Damen, mit Bearbeitungen von Originalwerken für Klavier, da sich die bürgerliche Frau Mitte 18. Jh. bei Hausmusikaufführungen gerne ans Klavier setzte. Die Erfindung des Steindrucks dehnte sich auch rasch auf die Bildende Kunst, den künstlerischen Steindruck aus.
Hans André (*1889 +1951) mein Großvater !
Von den Erben wollte zunächst niemand die Geschäftsführung übernehmen, bis Gustav Adolfs Sohn Hans André, der als Berufsoffizier den Ersten Weltkrieg erlebte, sich als Verlagskaufmann ausbildete und in den Verlag eintrat.
Die Firmenhäuser André in Offenbach Main wurden durch Bombenangriffe der Jahre 1943-1945 beschädigt, die Druckereiwerkstatt völlig zerstört. Das von Hans André in der Hauptgeschäftsstraße Offenbachs erworbene Haus überstand einigermaßen heil den 2. Weltkrieg. Hier ist bis heute das Musikhaus André.
Traurig:Der musikalisch begabte Bruder meiner Mutter, Hans-Günter, der leidenschaftlicher Jazzer gewesen war, war im Alter von 22 Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft gestorben.
Hans André starb am 06. Jan. 1951 im Alter von 61 Jahren.
Nun schlug wieder die Stunde der Frauen:
Hans‘ Witwe Friederike André und ihre Schwägerin Elfriede André ( Hans‘ Schwester) , beide schon jahrelang in der Firma tätig, führten das Geschäft weiter.
Zu ihnen trat als Vertreterin der nächsten Generation meine Mutter Ute-Margrit André, die dann, nach dem Tod der Mutter 1971 mit der Tante zusammen die Firma leitete. Margrit erwarb sich Verdienste, indem sie das bis dahin verschlossene André-Archiv der Musikwelt öffnete.
Ihr 3. Kind Hans-Jörg, ist die siebte Generation in dem einst 1774 von Johann André gegründeten Verlags- und Musikaliengeschäft.
4 Söhne: Mario, Moritz, Mikael und Matteo
Offenbach hat sich in diesen 242 Jahren seit Firmengründung 1774 und noch mehr in den 300 Jahren, seit sich die ersten hugenottischen Flüchtlinge dort niederließen, gewaltig verändert. Heute wie damals hat die Stadt von dem Zustrom durch Fremde, die sich in das städtische Leben einfügten, in vielfacher Hinsicht profitiert.
Ich selbst (geb.1.10.1951) habe mich 1974 in Hannover »angesiedelt«, studiert, gearbeitet und bin jetzt als bildende Künstlerin aktiv.
Die musikalische Begabung meiner Vorfahren lebt in mir als leidenschaftliche Zuhörerin von Musik fort.
Ich habe darüber nachgedacht, welche Aufgabe mir als Frau und als Frau ohne Kinder in dieser langen Reihe von Ahnen zugedacht sein könnte. So habe ich mich entschlossen, einen Teil meines materiellen Erbes an die Gesellschaft zurückzugeben und die Karin André Stiftung gegründet.
In ihr soll meiner Vorfahren als Musiker und Komponisten gedacht werden, indem Werke von ihnen wieder aus dem André Archiv geholt und gespielt werden, auch und gerade in Hannover.
Daher hat das Institut für Frühförderung (IFF) der Hochschule für Musik Hannover eine Zuwendung der KAS erhalten. Einer der Frühstudenten spielt z.B. Anton André’s Variationen „Ah vous diraj je maman“ und im Vergleich die späteren von Mozart.
Aber auch mein persönliches Engagement für Menschen, denen der Zugang zu unserer gesellschaftlichen Kultur erschwert ist, nimmt sich die Stiftung in den Focus.
Sie unterstützt Projekte für benachteiligte Kinder, u.a. das Projekt KIMAKU in Hannover Mittelfeld, das Kunst an Kinder heranträgt – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.
Und so bitte ich, die Karin André Stiftung zu unterstützen und mir die Freude zu bereiten, das Geld im Sinne der Stiftung und meiner engagierten Ahnen weiterzugeben.